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10.07.2020

Insolvenzverfahren: Schutzschirm oder doch Eigenverwaltung?

Autokonzerne auf der Überholspur

Dr. Dirk Wegener

Steht ein Schuldner vor der Entscheidung, mit welchem Verfahren er einer Insolvenz begegnen möchte, fällt diese häufig zugunsten des Schutzschirmverfahrens aus. Das Verfahren scheint vielen Unternehmen ein möglicher Weg ohne großen Imageverlust zu sein. Zugleich lässt sich das negativ behaftete Wort „Insolvenz“ umschiffen. Allerdings gilt es abzuwägen, ob das Eigenverwaltungsverfahren möglicherweise die bessere Variante darstellt und ein attraktiverer Weg aus der Zahlungsunfähigkeit ist, weil er eine Reihe von Vorteilen bietet.

Viele Geschäftsführer stehen in diesen Wochen vor der schwierigen Frage, mit welcher Sanierungsmaßnahme sie ihr Unternehmen am besten durch die Krise bringen. Zwar helfen Bund und Länder der Wirtschaft mit umfassenden Maßnahmen, allerdings gibt es Unternehmen, die aus verschiedenen Gründen durch das Raster der Unterstützungsfähigkeit fallen und keine staatlichen Hilfen oder Kredite bekommen. Und es gibt Unternehmen in einer Grauzone der Unterstützungsberechtigung, weil es keine klare Perspektive für einen positiven wirtschaftlichen Ausblick gibt. Bei Unternehmen, die einen Kredit bekommen, reicht die Hilfe zwar um den Insolvenzgrund zu beseitigen, aber mittelfristig ändert sich an der schwierigen finanziellen Situation substanziell nichts. Und damit stellt sich die Frage, ob sich ein Unternehmen stark verschulden sollte, obwohl absehbar ist, dass die Rückzahlung schwierig werden könnte. Für Unternehmen, die trotzdem unbedingt Hilfen in Anspruch nehmen wollen, kann es ein böses Erwachen geben. Eventuell ist ein klarer Exit über ein Insolvenzverfahren besser, als mit einer unklaren Perspektive weiter zu versuchen, den Kapitaldienst zu erwirtschaften.

Eigenverwaltung oder Schutzschirmverfahren?

Der Gesetzgeber hat 2012 mit der Reform des Insolvenzrechts das sogenannte Schutzschirmverfahren eingeführt. Der Begriff des „Schutzschirms“ leitet sich davon ab, dass betroffene Unternehmen, also die Schuldner, vor dem Zugriff ihrer Gläubiger geschützt werden. Maßnahmen der Zwangsvollstreckung können hier nicht angesetzt werden. Der Schutzschirm ist eine Möglichkeit des Gesetzes zur Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG). Ziel des Gesetzes ist es, Anreize für Unternehmen zu schaffen, möglichst rasch in die Sanierung einzusteigen und nicht so lange zu warten, bis es möglicherweise zu spät ist. Zu diesem Zweck wurden zwei Verfahrensmöglichkeiten entwickelt:

  • das Eigenverwaltungsverfahren nach § 270a Insolvenzordnung (InsO) und
  • das Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO.

Beide Konzepte zielen darauf ab, Unternehmen in Eigenregie zu sanieren. Letztlich sind jedoch beides Insolvenzverfahren. Das bedeutet: Die Bedingungen, die daran geknüpft sind, sind dem des Insolvenzverfahrens ähnlich. Das Unternehmen kann in beiden Varianten, wie im Insolvenzverfahren auch, für maximal drei Monate Insolvenzgeld zur Zahlung der Löhne und Gehälter beantragen, was besonders in personalintensiven Betrieben hilfreich ist. Laufende Verträge können einfacher gekündigt werden, sodass ein Unternehmen einen Neustart auf den Weg bringen kann – insbesondere dann, wenn durch bereits erhaltene Lieferungen ein Liquiditätsengpass droht.

Schuldner entscheiden zumeist zugunsten des Schutzschirmverfahrens. Das Verfahren scheint vielen Unternehmen ein Weg ohne großen Imageverlust zu sein, suggeriert der Begriff der Öffentlichkeit per se die Rettung des Unternehmens. Weil der Begriff des Insolvenzverfahrens in der deutschen Meinungslandschaft doch allzu sehr den Klang nach Zerschlagung oder Auflösung hat, fällt es den Unternehmen in der Außenkommunikation offenbar leichter, den Begriff des „Schutzschirms“ zu kommunizieren als den der „Insolvenz“.

Gemeinsamkeiten der Verfahren

In beiden Verfahren – Schutzschirm und Eigenverwaltung – bleibt der Geschäftsführer im „Driver’s Seat“, also auf dem Fahrersitz am Lenkrad. Dies kann viele Vorteile haben, kennt eine erfahrene Geschäftsleitung doch die bestehenden Verträge am besten und kann unter Umständen auf langjährige Kontakte zu Lieferanten, Vermietern etc. zurückgreifen und im Rahmen des bestehenden Beziehungsnetzes auf Unterstützung hoffen. Die Geschäftsführung benötigt zur Umsetzung des Verfahrens einen Sanierungsberater, der ein plausibles Konzept zur Sanierung des Unternehmens erstellt. Darüber hinaus stellt das Gericht dem Geschäftsführer einen Sachwalter zur Seite. In der Regel ist dies ebenfalls ein erfahrener Sanierungsberater und Insolvenzverwalter. Das Unternehmen kann dann in beiden Varianten, wie im Insolvenzverfahren auch, für maximal drei Monate Insolvenzgeld zur Zahlung der Löhne und Gehälter beantragen, was besonders in personalintensiven Betrieben wie zum Beispiel im Handel hilfreich ist. Laufende Verträge können einfacher gekündigt werden, sodass ein Unternehmen einen Neustart auf den Weg bringen kann – insbesondere dann, wenn durch bereits erhaltene Lieferungen ein Liquiditätsengpass droht.

Unterschiede von Schutzschirm und Eigenverwaltung

Wer unter den Schutzschirm möchte, darf noch nicht zahlungsunfähig sein. Dies muss ein in Insolvenzsachen erfahrener Wirtschaftsprüfer bescheinigen. Die Insolvenz in Eigenverwaltung bleibt auch bei bereits eingetretener Zahlungsunfähigkeit eine Option. Nach der Antragstellung und unter der Prämisse, dass eine Sanierung gelingen kann, legt das Gericht beim Schutzschirmverfahren eine Frist von drei Monaten zur Vorlage des Insolvenzplans fest. Bei der Eigenverwaltung ist dies nicht notwendig. Unter dem Schutzschirm ist zudem die Bescheinigung eines in Insolvenzsachen erfahrenen Wirtschaftsprüfers notwendig, aus der hervorgeht, dass die Sanierung des Unternehmens möglich ist und das Geschäftsmodell trägt. Diese Bescheinigung bedarf eines deutlichen Vorlaufs, womit ist ein kurzfristiger Insolvenzantrag im Schutzschirmverfahren nicht möglich ist. Dabei hier muss langfristig geplant werden und es entstehen zwangsläufig höhere Kosten.

Eigenverwaltung besser als Schutzschirm?

Die Eigenverwaltung ist eine noch relativ junge Verfahrensart und macht bis dato nur einen Bruchteil der Insolvenzverfahren aus. Dennoch lohnt es sich abzuwägen, ob das Eigenverwaltungsverfahren möglicherweise die bessere Variante darstellt und ein attraktiverer Weg aus der Zahlungsunfähigkeit ist, weil er eine Reihe von Vorteilen bietet. Diese sind unter anderem:

  • Die Geschäftsführung bleibt im Amt und der Schuldner bleibt auch nach Anordnung der (vorläufigen) Eigenverwaltung in vollem Umfang verwaltungs- und verfügungsbefugt.
  • Der (vorläufige) Sachwalter hat nur eine Aufsichts- und Kontrollfunktion.
  • Es bestehen verkürzte Kündigungsfristen für den Schuldner:
    • für Arbeitnehmer maximal drei Monate (vorausgesetzt, es liegt ein Kündigungsgrund vor),
    • für Mietverhältnisse über Immobilien maximal drei Monate.
  • Der Schuldner wird von Leasing- oder sonstigen Finanzierungsverträgen ohne Kündigungsfrist (§ 103 InsO) befreit.
  • Durch Insolvenzgeld und fehlende Umsatzsteuerzahlung gewinnt der Schuldner in der vorläufigen Eigenverwaltung an Liquidität.
  • Die Sanierung ist durch den Insolvenzplan innerhalb eines Zeitraums von sechs bis neun Monaten möglich.
  • Die vorläufige Eigenverwaltung wird nicht veröffentlicht.
  • Das Stigma der Insolvenz ist kaum spürbar.
  • Für den Schuldner ergeben sich im laufenden Verfahren Kostenvorteile.

Fazit: Die Eigenverwaltung ist für Unternehmen mit Fortführungsperspektive geeignet

Die Eigenverwaltung kommt insbesondere für die Unternehmen bzw. Schuldner in Betracht, die eine konkrete Fortführungs- und Sanierungsperspektive haben. Sie kann besonders erfolgreich gestaltet werden, wenn alle Beteiligten – Geschäftsführung, Gläubiger, Sanierungsberater und Sachwalter – Hand in Hand arbeiten. Üblicherweise erstellt ein Sanierungsberater einen Sanierungsplan zur weiteren Entwicklung des Unternehmens, der dann in den Insolvenzplan übergeht. In der Regel geht dies mit dem Vertrauen der Gläubiger in den Weiterbestand des Unternehmens einher. Die Mitarbeiter erhalten in dieser Zeit für drei Monate – wie beim normalen Insolvenzverfahren auch – Insolvenzgeld.

Zudem können die übrigen Sonderrechte der Insolvenz genutzt werden: Dazu gehören Sonderkündigungsrechte oder besondere Verwertungs- und Nutzungsrechte. Geschäftsführer, die sich für die Insolvenz in Eigenverwaltung entscheiden, haften in gleichem Maße wie ein Insolvenzverwalter.

Wer „unter den Schutzschirm“ möchte, muss zwingend beim Insolvenzgericht einen Antrag stellen. Allerdings wird nicht jedem Unternehmen der Antrag auf Eigenverwaltung vom Insolvenzgericht genehmigt. Unternehmen, die schon vorher schlecht gewirtschaftet haben oder in denen die Unzuverlässigkeit des Geschäftsführers erkennbar ist, werden voraussichtlich keine Erlaubnis vom Insolvenzgericht bekommen. Besonders geeignet scheint der Weg in die Eigenverwaltung für Mittelständler, die schon vorher redlich gewirtschaftet und im Jahr 2019 einen Gewinn gemacht haben, die etwas Liquidität und keine großen Lohnrückstände haben. Die Perspektive: Nach dem Ende des Verfahrens kann das Unternehmen schuldenfrei und mit einer wirtschaftlichen Perspektive in die Zukunft sehen.

Autor: Dr. Dirk Wegener ist Rechtsanwalt bei der dhpg. Er ist seit mehr als 15 Jahren ausschließlich in der Sanierungsberatung und Insolvenzverwaltung tätig. Insolvenzgerichte in Nordrhein-Westfalen bestellen ihn regelmäßig zum Sachverständigen, Treuhänder und Insolvenzverwalter. Darüber hinaus verfügt Dr. Dirk Wegener über umfangreiche Erfahrungen als Sachwalter in Eigenverwaltungsverfahren.


Redaktion

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